Müssen wir uns als AFOLs schämen? Ein Blick auf Vorurteile, Vorteile und den geschichtlichen Kontext
„Du bist doch kein Kind mehr!“ – Diesen oder ähnliche Sätze haben viele Erwachsene gehört, die mit Stolz zugeben, dass sie gerne mit LEGO®-Steinen bauen oder Sammelfiguren horten. Doch warum gibt es diese Vorurteile? Was macht unser Hobby so besonders, und wie können wir damit umgehen? Dieser Beitrag beleuchtet die gesellschaftlichen und persönlichen Dimensionen des Themas.
Warum gibt es Vorurteile gegen AFOLs?
Gesellschaftliche Erwartungen
Wir leben in einer Welt, in der Erwachsensein oft mit Ernsthaftigkeit und Produktivität gleichgesetzt wird. Hobbys wie das Spielen mit LEGO® oder Sammeln von Actionfiguren werden schnell als „kindisch“ abgestempelt, da sie nicht in das klassische Bild eines „reifen“ Erwachsenen passen. Hobbys wie Musizieren oder Sport hingegen werden als gesellschaftlich wertvoll betrachtet, da sie oft mit Leistung, Talent oder körperlicher Gesundheit assoziiert werden.
Mediale Stereotypen
Die Medien haben ihren Teil dazu beigetragen, dass solche Hobbys belächelt werden. In Serien oder Filmen werden erwachsene LEGO®-Bauer oft als schrullige „Nerds“ dargestellt, die nicht in die gesellschaftliche Norm passen. Diese Stereotypen haben sich tief in das kollektive Bewusstsein eingebrannt.
Der historische Kontext
Bis ins 19. Jahrhundert gab es kaum eine klare Trennung zwischen Kindheit und Erwachsensein. Spielen galt als natürlicher Teil des Lebens. In ländlichen Gesellschaften, in denen Arbeit und Freizeit oft verschmolzen, war Spielen eine Art des sozialen Lernens, die von allen Altersgruppen praktiziert wurde. Erst mit der Industrialisierung und dem Aufkommen moderner Bildungssysteme wurde Kindheit zu einer eigenen Lebensphase, und Spielzeug wurde primär für Kinder konzipiert. Dies spiegelte sich auch in der Konsumkultur wider: Spielzeughersteller richteten ihre Produkte gezielt an Kinder. Erwachsenen wurde hingegen ein eher ernstes, produktivitätsorientiertes Leben zugeschrieben. Diese Trennung wirkt bis heute nach: Spielen wird mit Kindheit assoziiert, nicht mit Erwachsensein.
Interessanterweise war LEGO® zu Beginn keineswegs als reines Kinderspielzeug konzipiert. Ole Kirk Christiansen, der Gründer von LEGO®, wollte ein Produkt schaffen, das Kreativität und Baukunst fördert – Werte, die zeitlos sind. Doch im Laufe der Zeit wurde die Marke stark mit Kindern verknüpft, was den heutigen Eindruck prägt.

Warum ist es okay, mit Kindern zu bauen, aber nicht alleine?
Hier zeigt sich ein interessanter gesellschaftlicher Widerspruch: Wenn Erwachsene gemeinsam mit Kindern bauen, wird dies als lobenswert betrachtet. Es zeigt Engagement, Kreativität und die Bereitschaft, Zeit mit dem Nachwuchs zu verbringen. Baut jedoch ein Erwachsener alleine, ändert sich die Wahrnehmung oft.
Erwachsene als Vermittler
Ein Grund dafür ist, dass Erwachsene in unserer Gesellschaft oft als Vermittler von Wissen und Fähigkeiten gesehen werden. Bauen mit Kindern wird als erzieherische oder unterstützende Aktivität wahrgenommen, bei der Erwachsene ihre Rolle als Vorbilder ausfüllen. Wenn sie jedoch alleine bauen, fehlt dieser erzieherische Kontext, und die Aktivität wird als „unreif“ interpretiert.
Das Nutzen-Kriterium
Eine weitere Ursache ist die Bewertung nach Nutzen. Baut ein Erwachsener mit Kindern, wird der Nutzen klar: Die Kinder werden gefördert, und es entsteht eine soziale Bindung. Baut ein Erwachsener alleine, wird die Aktivität oft als „selbstbezogen“ gesehen, was nicht den gesellschaftlichen Erwartungen an „reife“ Freizeitgestaltung entspricht.
Kindheitserinnerungen und Nostalgie
Wenn Erwachsene mit Kindern spielen, scheint es gesellschaftlich akzeptabler zu sein, dass sie sich an ihre eigene Kindheit erinnern. Dieses Verhalten wird als natürlich angesehen, weil es im Kontext von Erziehung und Familie geschieht. Bauen sie jedoch alleine, wird die Nostalgie plötzlich hinterfragt und oft als Flucht vor Verantwortung interpretiert.
Müssen wir uns schämen?
Die Antwort ist ein klares NEIN. Aber das bedeutet nicht, dass es immer einfach ist, sich gegen die gesellschaftlichen Vorurteile zu stellen. Viele AFOLs (Adult Fans of LEGO®) berichten, dass sie anfangs Hemmungen hatten, offen zu ihrem Hobby zu stehen. Doch Scham kommt oft von innen – durch internalisierte gesellschaftliche Erwartungen.
Studienlage zur Scham
Laut einer Studie des Psychologen Brené Brown („Daring Greatly“, 2012) basiert Scham oft auf dem Gefühl, nicht den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Sie stellt fest, dass Scham sich durch Offenheit und den Austausch mit Gleichgesinnten reduzieren lässt.
Die Vorteile unseres Hobbys
1. Kreativität und Problemlösung
LEGO® und andere Bauhobbys fördern kreative Denkweisen und schulen die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Wer stundenlang an einem MOC („My Own Creation“) arbeitet, trainiert Geduld, Konzentration und planerisches Denken.
2. Stressabbau
Das monotone Klicken von Steinen wirkt fast meditativ. Eine Studie von Flynn et al. (2017) zeigte, dass kreative Hobbys wie LEGO®-Bauen helfen, Stress zu reduzieren und die mentale Gesundheit zu fördern.
3. Gemeinschaft und Austausch
Durch Veranstaltungen, Foren und soziale Netzwerke gibt es eine riesige Community von Gleichgesinnten. Diese Gemeinschaft schafft Zusammengehörigkeit und das Gefühl, verstanden zu werden.
4. Nostalgie
LEGO® lässt uns in Erinnerungen an unsere Kindheit schwelgen – ein starker emotionaler Anker, der uns glücklich machen kann.
Die Nachteile
1. Gesellschaftliche Stigmatisierung
Wie oben beschrieben, kann das Hobby belächelt werden. Das kann besonders belastend sein, wenn Freunde, Kollegen oder sogar die Familie die Leidenschaft nicht ernst nehmen.
2. Zeit und Geld
LEGO® ist kein günstiges Hobby. Sets können mehrere hundert Franken kosten, und es kann schwierig sein, dieses Hobby mit anderen Verpflichtungen wie Familie oder Beruf zu vereinbaren.
3. Innerer Konflikt
Viele AFOLs kämpfen mit der Frage, ob ihr Hobby „verantwortungsvoll“ ist. Besonders, wenn es auf Kosten anderer Prioritäten geht, kann dies zu Schuldgefühlen führen.
Wie überwinden wir die Vorurteile?
1. Bildung und Aufklärung
Erkläre anderen, warum dein Hobby wichtig für dich ist. Teile Fakten über die Vorteile kreativer Hobbys und die Bedeutung von LEGO® für deine mentale Gesundheit.
2. Austausch mit Gleichgesinnten
Tritt LEGO®-Communities bei, sei es online oder offline. Der Kontakt mit anderen AFOLs zeigt dir, dass du nicht allein bist.
3. Selbstakzeptanz
Frage dich: Warum baust du mit LEGO®? Wenn die Antwort etwas Positives ist – z. B. Spass, Entspannung oder Kreativität –, dann ist das Grund genug, dein Hobby ohne Scham zu geniessen.
4. Humor nutzen
Eine gute Strategie, um Vorurteilen zu begegnen, ist Humor. Warum nicht sagen: „Ich spiele mit LEGO®-Steinen, weil ich sonst das Haus renovieren würde – und das wird teurer!“
Solltest du dich öffentlich outen?
Das liegt an dir. Manche AFOLs geniessen ihr Hobby lieber privat, andere teilen es stolz mit der Welt.
Vorteile des Outings: Du kannst Gleichgesinnte finden, Vorurteile abbauen und dich selbstbewusster fühlen.
Nachteile: Du könntest auf Unverständnis oder Kritik stossen. Aber bedenke: Die meisten Menschen sind beeindruckt, wenn jemand authentisch zu sich selbst steht.
Fazit: Wir müssen uns nicht schämen
LEGO® ist mehr als nur ein Spielzeug. Es ist eine Form des kreativen Ausdrucks, ein Mittel zur Entspannung und eine Tür zu einer weltweiten Community. Die Gesellschaft mag noch ihre Vorurteile haben, aber der Wandel ist bereits spürbar. Mit Humor, Selbstakzeptanz und einem offenen Austausch können wir diese Vorurteile abbauen. Also: Köpfe hoch, Steine raus – und stolz AFOL sein!
Ein spannender Hinweis: Der Präsident des Vereins BriXpo war zu Gast im Podcast der SRF-Sendung Input, um genau über diese Themen zu sprechen. Der Podcast beleuchtet kritisch und differenziert das Phänomen der AFOLs, die Entwicklung der Spielzeugindustrie und den wachsenden Trend der sogenannten „Kidults“. Eine absolute Empfehlung, um tiefer in die Thematik einzutauchen!